Sonntag, 18. August 2013

Bewerbe sich, wer kann! Was geht denn hier ab?


Neulich traf ich nach vielen Jahren einen ehemaligen Mitarbeiter von mir in einem der so angesagten "Social & Professional Networks" wieder. Er ist ein echt cleveres Kerlchen, und so verwunderte es mich überhaupt nicht, dass er inzwischen auf der Karriereleiter steil nach oben geklettert war. Erstaunt war ich zunächst lediglich über die Tatsache, dass er sein berufliches Glück nicht etwa bei einem börsennotierten Riesen gefunden hat, sondern bei einem inhabergeführten Unternehmen.
Einige Tage später aß ich mit einem Manager eines hippen börsennotierten Internetkonzerns der neuen Generation zu Mittag. Hier müsste es doch eigentlich anders zugehen, dachte ich. Hier müsste doch ein frischer Wind wehen und die Mitarbeiter in interessanten Jobs glücklich sein. Oder?
Denkste!
„Wir tun hier dieselben stupiden Dinge wie bei …“, klagte mein Bekannter (Anmerkung: Sein alter Arbeitgeber war eine der Ikonen aus dem Silicon Valley).
Scheinaktionismus für ein grünes Dashboard?
Wieder muss er Zahlen jonglieren und Prozesse designen und streamlinen, deren Sinngehalt zumindest fraglich ist.  Warum ist das so? Eine Ursache ist sicherlich die Tatsache, dass die Top-Führungskräfte dieser Konzerne jenseits des Atlantiks immer wieder aus demselben Talentpool gefischt werden, frei nach dem Motto never change a winning team. Aber selbst im modernen Fußball, in Zeiten von Spielerrotation, ist diese Erkenntnis nur noch bedingt gültig.
Mein Bekannter, jedenfalls, ist unglücklich und denkt darüber nach, sich beruflich zu verändern.
Bewerbe sich, wer kann…
Die Unterhaltung steht symbolhaft für eine ganze Reihe von Gesprächen, die ich in der letzten Zeit geführt habe. Immer wieder derselbe Tenor:  Die Aktionäre müssen befriedigt, das Dashboard grün werden. Egal wie.
Eine Folge ist ein Scheinaktionismus, der das kreative Potenzial vieler Mitarbeiter völlig ungenutzt lässt. Eine weitere Folge: immer mehr Mitarbeiter, die etwas bewegen wollen, sind unzufrieden und orientieren sich neu. Sie wollen „nie mehr in einen großen Konzern“ hinein oder wenn schon, dann bitte in einen, in dem die Entscheidungen hierzulande getroffen werden.
Der Bewerberstrom schwillt an
Befreundete Personalberater erzählen mir von teilweise dreistelligen Bewerberzahlen. Wie passt das zur Zufriedenheitsstudie des arbeitgebernahen Instituts für Wirtschaftsforschung, nach der 9 von 10 Arbeitnehmern mit ihrem Job zufrieden sind? Welch ein Widerspruch zwischen Theorie und Praxis. Kenne ich etwa nur jeden 10ten Befragten, also den typischen Nörgler? Bewerbe sich, wer kann…
Aber woher kommt diese Haltung? Alle Arbeitgeber sagen doch, der wichtigste Faktor in ihrer Firma seien die Mitarbeiter. Reden die etwa nur drüber? Jedenfalls scheinen ihre Mitarbeiter lieber heute als morgen woanders landen zu wollen.
Es lohnt ein Blick in die Vergangenheit – Stichwort industrielle Revolution
Zu Beginn der industriellen Revolution gab es sehr wenige Arbeiter. Die meisten Menschen wurden für die Landwirtschaft gebraucht und die wenigen Arbeiter mussten erst einmal ausgebildet werden. Lange herrschte eine Gutsherrenmentalität, nach der Arbeiter wie Eigentum betrachtet wurden. Und so kam es, wie es kommen musste. Die endlich gut ausgebildeten Arbeiter ergriffen bei der ersten Aussicht auf mehr Lohn die Flucht.
Kluge Köpfe wie Werner von Siemens oder Robert Bosch erkannten zuerst, dass sich Qualität und Kundenzufriedenheit nur erzielen lassen, wenn die richtigen Arbeiter treu zum Unternehmen stehen – und das Unternehmen wiederum treu zu seinen Mitarbeitern. Es müssen also die richtigen Mitarbeiter gefunden, ausgebildet und ans Unternehmen gebunden werden.
Die Geburtsstunde sozialer Standards
Soziale Standards sollten ein „Wir-Gefühl“ ermöglichen und beidseitige Loyalität schaffen. Auch das Kündigungsschutzgesetz entstammt dieser Geisteshaltung. Es sollte die Arbeitnehmer vor Willkür schützen und gleichzeitig die Arbeitgeber für ihren Einsatz in der Ausbildung von Facharbeitskräften durch langfristige Bindung der Mitarbeiter belohnen. Eine Win-Win-Situation!
Zurück zur Gegenwart!
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass diese aus der Zeit der Industrialisierung stammende Erfahrung sich nun schon seit Jahrzehnten regelmäßig wiederholt. Gingen Arbeitgeber seit den 80er Jahren nach Singapur, wo Arbeit billig und die Arbeitnehmerrechte gering waren, stellten sie schon bald fest, dass die dadurch begründete geringe Bindung zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern schnell die Kosten in die Höhe trieb. Mangelhafte Qualität durch schlecht ausgebildete Arbeitskräfte muss wiederum durch teure Ausbildungsmaßnahmen behoben werden. Der  Wettbewerb um diese wenigen ausgebildeten Arbeitskräfte ist heftig, die Löhne steigen etc.
Es folgten Südostasien, die Öffnung des Ostens, BRIC….
Eine der Achillesfersen von China ist das nicht vorhandene duale Ausbildungssystem. Es fehlt die Facharbeiterschicht. Auch dies mussten ausländische Unternehmen schmerzlich lernen. Was anfangs aus ihren chinesischen Fabriken kam, war Schrott. Also pumpten sie viel Geld ins Personal vor Ort und waren ihre Mitarbeiter nach getaner Ausbildung flugs wieder los, sobald der nächste Betrieb mehr zahlte. Dass der Export nach China für den deutschen Maschinenbau so gut läuft, freut uns natürlich. Dahinter steht aber genau das beschriebene Phänomen: China ist aufgrund des Facharbeitermangels zum Automatisieren verdammt. Ob aber eine teure Maschine, die ohnehin vollautomatisch produziert, in China oder Deutschland steht, ist völlig egal. Der Wettbewerbsvorteil der Chinesen schwindet unaufhörlich.
Zurück nach Deutschland…
Worauf wird es im 6ten Kondratieff ankommen?
Der 6te Kondratieff steht ganz im Zeichen psyochosozialer Gerechtigkeit. Die Verantwortung der Unternehmer besteht in allererster Linie darin, die Bedürfnisse der Gesellschaft zu befriedigen. Diejenigen, die solche Trends spüren und umsetzen, sind wiederum die Mitarbeiter. Insofern stimmt die Aussage, „die Mitarbeiter sind das wichtigste Kapital eines Unternehmens“. Ich gehe aber noch weiter und sage, es müssen zuallererst die „richtigen“ Manager gefunden werden, die ein Klima schaffen, in dem dann die „richtigen“ Mitarbeiter, die sich mit dem Unternehmen und ihren Aufgaben identifizieren, erfolgreich sein können und wollen.
Wirklich bahnbrechend neue Produkte und Dienstleistungen entstehen nicht über Nacht. Unternehmer müssen sich daher die Zeit nehmen, ihre Personalentwicklung aktiv zu gestalten und die Mitarbeiter ins Boot zu holen, die dessen Werte teilen. Daraus wächst gegenseitige Loyalität und die „Bewerbe-sich-wer-kann-Mentalität“ wird der Vergangenheit angehören. Großartige Produkte und Dienstleistungen werden unseren Alltag verbessern helfen und Wohlstand für alle schaffen.
Ganz nebenbei: Auch die Dashboards werden grün!
Eine letzte Bemerkung: Viele Historiker führen den Zerfall des römischen Reichs darauf zurück, dass die Grenzen des riesigen Reiches am Ende nur noch durch Söldner geschützt wurden. Diese aber waren bestechlich und wurden schnell abtrünnig. Nicht, dass ich dem römischen Reich eine Träne nachweinen würde, aber auch hier gilt der Grundsatz:
Ohne Loyalität ist nachhaltiger Erfolg unmöglich!