Da kochen die Emotionen hoch. Es brodelt in weiten Teilen des
Westens. Wir sind schockiert oder wütend oder schlicht sprachlos: PRISM -
„Ausgespäht durch einen Freund!“ Das lässt niemanden kalt.
Fortlaufend neue Enthüllungen. Der amerikanische Geheimdienst
hört und liest massiv bei uns mit: wenn wir telefonieren, wenn wir mailen, wenn
wir uns in sozialen Netzwerken tummeln, selbst wenn wir Internetbanking
durchführen. Der britische Geheimdienst stürmt gar die Räume des „The Guardian“,
befiehlt die Zerstörung von Unterlagen, die diese Praktiken (auch der
britischen Regierung) aufdecken und schüchtert massiv Journalisten ein.
Spätestens, seitdem offengelegt wurde, dass große US-Internet-Unternehmen von
der US-Regierung Geld zur Anpassung ihrer Datenservices erhalten haben, ist uns
allen klar geworden: unsere Daten sind nicht sicher!
Zuckerberg („Das war echt übel.“[1])
wünscht sich, dass die US Regierung mehr dazu beiträgt, die Spionageaffäre
aufzuklären. Er fürchtet einen Umsatzrückgang, wenn Facebook-Nutzer weltweit
mit Zurückhaltung reagieren. Ob sie das tun werden?
Die Sache mit der
Freiwilligkeit
Niemand möchte, dass andere – seien es Regierungsorganisationen
oder sonst wer - einfach so und vor allem unbemerkt an persönliche Daten herankommen.
Ich glaube, der Trigger liegt in der Freiwilligkeit. In den sozialen Netzwerken
tummeln sich Millionen von Usern und teilen vollkommen bereitwillig und
unbefangen ihr Leben mit anderen: Man kann lesen und sehen, was abends auf den
Grill wandert, welche Produkte geliked
werden oder wie man zu politischen Themen steht. Kaum ein Gebiet ist tabu. Aber
– und darauf kommt es an – das Ganze geschieht freiwillig.
Spionage ist nicht freiwillig (jedenfalls nicht beidseitig). Durch
Spionage wandern nicht nur nackte Daten, sondern eben auch Know-how und Ideen
ab. So wie unsere Gesellschaft heute organisiert ist, bedeutet diese mehr als unfreiwillige
Offenlegung von geistigem Eigentum - ganz im Einklang mit der gängigen
Lehrmeinung des 5ten Kondratieffs - eine Katastrophe. Andere profitieren von
unseren Ideen und schlagen daraus Kapital! Und wir gucken in die Röhre! Das
darf nicht sein!
Wissen ist Macht -
oder?
Oder könnte die ganze Sache auch eine Chance für die Zukunft
unserer Gesellschaft bedeuten? Eine Chance, die keiner bisher für möglich
gehalten hätte? Könnte die Affäre am Ende gar eine der Wachstumsbremsen lösen,
die unsere Wirtschaft derzeit blockieren? Wie komme ich nur auf so eine aberwitzige
Idee?
Angesichts einer rasant wachsenden Weltbevölkerung von
derzeit bereits 7,1 Milliarden Menschen, sind im 6ten Kondratieff die Themen sauberes
Trinkwasser, gesunde und ausreichende Ernährung sowie erneuerbare Energien von überragender
Bedeutung.
Doch wer kann und wird diese komplexen, drängenden Probleme
lösen? Wird es wieder einmal eine Einzelperson sein, ein Universalgenie, ein
Konrad Zuse, der mit der Entwicklung des Computers den 5ten Kondratieff-Zyklus auslöste
und so den Wohlstandszuwachs der letzten Jahrzehnte brachte?
In alle bisherigen Zyklen wurde unser Verhalten von einer
Geisteshaltung bestimmt - sein Know-how um jeden Preis zu schützen.
Wissenschaftler, Forscher und Entwickler stehen sich oft feindselig gegenüber,
anstelle zu kooperieren. Ideen wurden und werden nicht geteilt, sondern unter
Verschluss gehalten. Denken Sie nur an den Streber neben Ihnen in der Schule,
der seine Mathelösungen mit Händen und Füßen vor Ihnen verdeckt hielt.
Ich glaube allerdings, dass es der Zusammenarbeit mehrerer
Menschen, ja ganzer Netzwerke bedarf,
um die vor uns liegenden Herausforderungen zu meistern. Dabei müssen Grenzen überwunden und Barrieren
abgebaut werden. Es wird mehr denn je auf die Kooperationsfähigkeit zwischen
den Menschen ankommen.
Wissen ist nicht
gleich Macht
Damit diese Netzwerke gelingen, muss die alte Maxime „Wissen
ist Macht“ aufgebrochen werden, denn sie hindert uns daran, offen mit Ideen umzugehen
und Revolutionäres entstehen zu lassen. Ich erinnere an den Streber, das
Gegenmodell der offenen Kommunikation. Und so gilt unsere Besorgnis heute noch
all zu oft Information vor den anderen versteckt zu halten, anstelle gemeinsam ein
größeres Ziel zu erreichen.
Ist die alte Maxime eigentlich allgemein gültig? Ist sie
sozusagen universell?
Ein Gegenentwurf hierzu bildet die chinesische Kultur in der
es als Ehre gilt, wenn die eigene Idee von anderen genutzt wird, weil dies die
eigene Genialität zeigt. Man lernt dort gerne von den weisen „Alten“ und die
Jungen sind aufgefordert, diese Ideen aufzunehmen und zu verfeinern.
Zugegeben – eine für uns befremdliche Sichtweise. Für den
Einzelnen scheint dieses Vorgehen in der Tat ungerecht. Schließlich sollte
derjenige profitieren, der die gute Idee hatte. Für die Gesellschaft aber
schafft diese Geisteshaltung einen steten Fluss an Innovationen.
So prallen die Weltanschauungen aufeinander: Amerikaner und
Europäer sprechen von Ideenklau, Asiaten sehen es als Ehre an (zumindest in kultureller
Hinsicht), wenn die eigene Idee den Fortschritt begründet.
PRISM hat uns schmerzhaft offenbart, dass wir (also der
Westen) auch zu Ideen- und Datenklauern geworden sind. Verschlüsselungsalgorithmen
dürfen offenbar nur eingesetzt werden, wenn dem jeweiligen Geheimdienst der
Schlüssel dahinter mitgeteilt wird. Was nützen also neue
Verschlüsselungsmethoden, wenn derjenige, der ausspioniert, bereits über die
Eintrittskarte zum Spionieren verfügt?
Also doch zurück zur Abschottung von Ideen?
Wissen ist nicht
schützbar
Letztendlich werden wir zu der Erkenntnis gelangen, dass in
einer vernetzten Welt Wissen nicht schützbar ist. Allerdings kann Verbarrikadieren
auch nicht die Lösung sein. Wir kommen um einen kostengünstigen und effektiven
Datenaustausch – also das Internet – nicht herum. Warum also nicht das
Unausweichliche als Chance begreifen. Werfen wir doch die alte Maxime „Wissen
ist Macht“ einfach über Bord. Ich erinnere noch einmal an die Facebook Nutzer
und ihre Bereitwilligkeit, Daten mit einer grenzenlosen Community zu teilen.
Wissen – völlig
barrierefrei
Wenn bereitwillig Informationen geteilt werden, so
beschleunigt sich auch der Innovationsfluss deutlich. Bisherige Barrieren würden
so einfach weggewischt. Die heutige junge Generation ist die am globalsten
denkende aller Zeiten. Landesgrenzen stellen für sie keine Hindernisse dar.
Gleichzeitig bedeutet die hohe Jugendarbeitslosigkeit in vielen Ländern, auch
unter begabten und sehr gut ausgebildeten jungen Menschen, dass ein riesiges
Potential an Kreativität und Innovationskraft einfach ungenutzt vor sich hin
schlummert. Für diese Jugendlichen gibt es in der derzeitigen Situation kaum
Hoffnung. Statistiken legen leider nahe, dass Menschen, die nach ihrer
Ausbildung nicht zeitnah im Arbeitsmarkt Fuß fassen, diesen Nachteil in ihrem
restlichen Arbeitsleben nie mehr aufholen werden.
Genau hier liegt aber der Ansatzpunkt für ein Umdenken! Wenn
diese jungen Menschen sich in globalen Wissensnetzwerken zusammenschließen und
die oben genannten Megaprobleme gemeinsam angehen, werden sie diese mit hoher
Wahrscheinlichkeit auch lösen können. Warum nicht ein früheres universitäres
Projekt, eine Leidenschaft für ein bestimmtes Thema, in einem Netzwerk mit
anderen zusammen angehen?
Selbst wenn es für eine solche Netzwerkarbeit zunächst kein
Geld gibt, so könnten diese Aktivitäten jungen Menschen neue Chancen in der
Arbeitswelt eröffnen, anstatt die Zeit sinnlos tot zu schlagen. Ein Arbeitgeber
wird auf sie aufmerksam oder – und dies ist nicht unwahrscheinlich – eine
Investorengruppe interessiert sich für die Arbeit dieses Netzwerks und
finanziert ein neues Start-up.
Kapitalüberfluss und
Modularisierung als Chance für Netzwerkideen
Die Ressource Kapital ist derzeit im Überfluss verfügbar.
Auch dies ist kein einmaliger Effekt. Am Ende eines jeden Kondratieff Zyklus
suchte das im letzten Aufschwung angehäufte Kapital verzweifelt nach
lohnenswerten Investments. Oft genug wird Geld in zumindest zweifelhafte
Businessmodelle – wie den kostenlosen Versand von Schuhen - oder in
abenteuerliche Finanzprodukte gesteckt. Warum also nicht in wirklich lohnende
neue Ideen von Netzwerken?
Die in den letzten zwei Jahrzenten wie ein Mantra gepriesene
und durchgeführte Fokussierung auf die Unternehmens-Kernkompetenzen sowie die daraus
folgende Modularisierung fast aller Prozesse bedeutet, dass es heute relativ
einfach für neue Herausforderer geworden ist, sich am Markt zu etablieren. Sehr
schnell lässt sich aus einer Idee durch das Einbinden von Spezialisten (z. B.
Fertigung, Logistik) ein komplettes Unternehmen „designen“, das dann die
Platzhirsche attackieren kann. Beispiel Softdrinks: Durch die Fokussierung auf Einkauf
und Marketing wurden die Abfüller in die Eigenständigkeit entlassen. Dies wiederum
bereitete den Boden für neue Anbieter von Energiedrinks, denn diesen standen plötzlich
die jetzt eigenständigen Abfüller zur Verfügung. Derzeitige Bestrebungen der
Großen, die Schrauben wieder zurückzudrehen und die Abfüller wieder ins
Unternehmen zu integrieren, werden die langfristige Entwicklung höchstens
kurzfristig abbremsen.
Ich bin überzeugt, auch dieser Trend fördert die
Kooperationsfähigkeit und den offenen Umgang mit Ideen.
Neue Zuckerbergs in
Sicht?
Ich glaube, wir werden schon bald die
ersten Erfolgsstorys solcher als Netzwerke gestarteten Start-ups sehen. Die
neuen Zuckerbergs, die durch ihren offenen Umgang mit Ideen unsere Megaprobleme
lösen werden. Hierin liegt aus meiner Sicht die größte Chance für unsere
Gesellschaft. Durch einen revolutionären Paradigmenwechsel im Bezug auf den
Umgang mit neue Ideen Innovationen hervorzubringen, die es ohne die offene
Zusammenarbeit nicht geben wird. Die junge Generation wird erkennen, dass die
Information zu einer Idee isoliert keinen Wert besitzt. Der Wert entsteht erst
im Kontext, in dem dieser Gedanke entstanden ist und dessen Erdenker, der diesen
Kontext herzustellen in der Lage ist. Erst mit seiner Kreativität und Flamme
der Inspiration wird aus der Idee eine Innovation, die ihren wertvollen Beitrag
leisten kann. Sobald dies akzeptiert ist, steht dem Umdenken nichts mehr im
Wege. Dann kann die Wachstumsbremse gelöst werden, die uns derzeit gefangen
hält und eine neue Ära der Wirtschaftsstruktur bis hin zur kulturellen
Entwicklung unserer Gesellschaft würde eingeläutet.
Wäre dies nicht eine sehr reizvolle Wende im Thema
Spionage?
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