Sonntag, 15. September 2013

Spionage Affäre – einfach nur unverschämt oder die Chance für die Zukunft?


Da kochen die Emotionen hoch. Es brodelt in weiten Teilen des Westens. Wir sind schockiert oder wütend oder schlicht sprachlos: PRISM - „Ausgespäht durch einen Freund!“ Das lässt niemanden kalt.
Fortlaufend neue Enthüllungen. Der amerikanische Geheimdienst hört und liest massiv bei uns mit: wenn wir telefonieren, wenn wir mailen, wenn wir uns in sozialen Netzwerken tummeln, selbst wenn wir Internetbanking durchführen. Der britische Geheimdienst stürmt gar die Räume des „The Guardian“, befiehlt die Zerstörung von Unterlagen, die diese Praktiken (auch der britischen Regierung) aufdecken und schüchtert massiv Journalisten ein. Spätestens, seitdem offengelegt wurde, dass große US-Internet-Unternehmen von der US-Regierung Geld zur Anpassung ihrer Datenservices erhalten haben, ist uns allen klar geworden: unsere Daten sind nicht sicher!
Zuckerberg („Das war echt übel.“[1]) wünscht sich, dass die US Regierung mehr dazu beiträgt, die Spionageaffäre aufzuklären. Er fürchtet einen Umsatzrückgang, wenn Facebook-Nutzer weltweit mit Zurückhaltung reagieren. Ob sie das tun werden?

Die Sache mit der Freiwilligkeit
Niemand möchte, dass andere – seien es Regierungsorganisationen oder sonst wer - einfach so und vor allem unbemerkt an persönliche Daten herankommen. Ich glaube, der Trigger liegt in der Freiwilligkeit. In den sozialen Netzwerken tummeln sich Millionen von Usern und teilen vollkommen bereitwillig und unbefangen ihr Leben mit anderen: Man kann lesen und sehen, was abends auf den Grill wandert, welche Produkte geliked werden oder wie man zu politischen Themen steht. Kaum ein Gebiet ist tabu. Aber – und darauf kommt es an – das Ganze geschieht freiwillig.
Spionage ist nicht freiwillig (jedenfalls nicht beidseitig). Durch Spionage wandern nicht nur nackte Daten, sondern eben auch Know-how und Ideen ab. So wie unsere Gesellschaft heute organisiert ist, bedeutet diese mehr als unfreiwillige Offenlegung von geistigem Eigentum - ganz im Einklang mit der gängigen Lehrmeinung des 5ten Kondratieffs - eine Katastrophe. Andere profitieren von unseren Ideen und schlagen daraus Kapital! Und wir gucken in die Röhre! Das darf nicht sein!

Wissen ist Macht - oder?
Oder könnte die ganze Sache auch eine Chance für die Zukunft unserer Gesellschaft bedeuten? Eine Chance, die keiner bisher für möglich gehalten hätte? Könnte die Affäre am Ende gar eine der Wachstumsbremsen lösen, die unsere Wirtschaft derzeit blockieren? Wie komme ich nur auf so eine aberwitzige Idee?
Angesichts einer rasant wachsenden Weltbevölkerung von derzeit bereits 7,1 Milliarden Menschen, sind im 6ten Kondratieff die Themen sauberes Trinkwasser, gesunde und ausreichende Ernährung sowie erneuerbare Energien von überragender Bedeutung.
Doch wer kann und wird diese komplexen, drängenden Probleme lösen? Wird es wieder einmal eine Einzelperson sein, ein Universalgenie, ein Konrad Zuse, der mit der Entwicklung des Computers den 5ten Kondratieff-Zyklus auslöste und so den Wohlstandszuwachs der letzten Jahrzehnte brachte?
In alle bisherigen Zyklen wurde unser Verhalten von einer Geisteshaltung bestimmt - sein Know-how um jeden Preis zu schützen. Wissenschaftler, Forscher und Entwickler stehen sich oft feindselig gegenüber, anstelle zu kooperieren. Ideen wurden und werden nicht geteilt, sondern unter Verschluss gehalten. Denken Sie nur an den Streber neben Ihnen in der Schule, der seine Mathelösungen mit Händen und Füßen vor Ihnen verdeckt hielt.
Ich glaube allerdings, dass es der Zusammenarbeit mehrerer Menschen, ja ganzer Netzwerke bedarf, um die vor uns liegenden Herausforderungen zu meistern.  Dabei müssen Grenzen überwunden und Barrieren abgebaut werden. Es wird mehr denn je auf die Kooperationsfähigkeit zwischen den Menschen ankommen.

Wissen ist nicht gleich Macht
Damit diese Netzwerke gelingen, muss die alte Maxime „Wissen ist Macht“ aufgebrochen werden, denn sie hindert uns daran, offen mit Ideen umzugehen und Revolutionäres entstehen zu lassen. Ich erinnere an den Streber, das Gegenmodell der offenen Kommunikation. Und so gilt unsere Besorgnis heute noch all zu oft Information vor den anderen versteckt zu halten, anstelle gemeinsam ein größeres Ziel zu erreichen.
Ist die alte Maxime eigentlich allgemein gültig? Ist sie sozusagen universell?
Ein Gegenentwurf hierzu bildet die chinesische Kultur in der es als Ehre gilt, wenn die eigene Idee von anderen genutzt wird, weil dies die eigene Genialität zeigt. Man lernt dort gerne von den weisen „Alten“ und die Jungen sind aufgefordert, diese Ideen aufzunehmen und zu verfeinern.
Zugegeben – eine für uns befremdliche Sichtweise. Für den Einzelnen scheint dieses Vorgehen in der Tat ungerecht. Schließlich sollte derjenige profitieren, der die gute Idee hatte. Für die Gesellschaft aber schafft diese Geisteshaltung einen steten Fluss an Innovationen.
So prallen die Weltanschauungen aufeinander: Amerikaner und Europäer sprechen von Ideenklau, Asiaten sehen es als Ehre an (zumindest in kultureller Hinsicht), wenn die eigene Idee den Fortschritt begründet. 
PRISM hat uns schmerzhaft offenbart, dass wir (also der Westen) auch zu Ideen- und Datenklauern geworden sind. Verschlüsselungsalgorithmen dürfen offenbar nur eingesetzt werden, wenn dem jeweiligen Geheimdienst der Schlüssel dahinter mitgeteilt wird. Was nützen also neue Verschlüsselungsmethoden, wenn derjenige, der ausspioniert, bereits über die Eintrittskarte zum Spionieren verfügt?
Also doch zurück zur Abschottung von Ideen?

Wissen ist nicht schützbar
Letztendlich werden wir zu der Erkenntnis gelangen, dass in einer vernetzten Welt Wissen nicht schützbar ist. Allerdings kann Verbarrikadieren auch nicht die Lösung sein. Wir kommen um einen kostengünstigen und effektiven Datenaustausch – also das Internet – nicht herum. Warum also nicht das Unausweichliche als Chance begreifen. Werfen wir doch die alte Maxime „Wissen ist Macht“ einfach über Bord. Ich erinnere noch einmal an die Facebook Nutzer und ihre Bereitwilligkeit, Daten mit einer grenzenlosen Community zu teilen.

Wissen – völlig barrierefrei
Wenn bereitwillig Informationen geteilt werden, so beschleunigt sich auch der Innovationsfluss deutlich. Bisherige Barrieren würden so einfach weggewischt. Die heutige junge Generation ist die am globalsten denkende aller Zeiten. Landesgrenzen stellen für sie keine Hindernisse dar. Gleichzeitig bedeutet die hohe Jugendarbeitslosigkeit in vielen Ländern, auch unter begabten und sehr gut ausgebildeten jungen Menschen, dass ein riesiges Potential an Kreativität und Innovationskraft einfach ungenutzt vor sich hin schlummert. Für diese Jugendlichen gibt es in der derzeitigen Situation kaum Hoffnung. Statistiken legen leider nahe, dass Menschen, die nach ihrer Ausbildung nicht zeitnah im Arbeitsmarkt Fuß fassen, diesen Nachteil in ihrem restlichen Arbeitsleben nie mehr aufholen werden.
Genau hier liegt aber der Ansatzpunkt für ein Umdenken! Wenn diese jungen Menschen sich in globalen Wissensnetzwerken zusammenschließen und die oben genannten Megaprobleme gemeinsam angehen, werden sie diese mit hoher Wahrscheinlichkeit auch lösen können. Warum nicht ein früheres universitäres Projekt, eine Leidenschaft für ein bestimmtes Thema, in einem Netzwerk mit anderen zusammen angehen?
Selbst wenn es für eine solche Netzwerkarbeit zunächst kein Geld gibt, so könnten diese Aktivitäten jungen Menschen neue Chancen in der Arbeitswelt eröffnen, anstatt die Zeit sinnlos tot zu schlagen. Ein Arbeitgeber wird auf sie aufmerksam oder – und dies ist nicht unwahrscheinlich – eine Investorengruppe interessiert sich für die Arbeit dieses Netzwerks und finanziert ein neues Start-up.

Kapitalüberfluss und Modularisierung als Chance für Netzwerkideen
Die Ressource Kapital ist derzeit im Überfluss verfügbar. Auch dies ist kein einmaliger Effekt. Am Ende eines jeden Kondratieff Zyklus suchte das im letzten Aufschwung angehäufte Kapital verzweifelt nach lohnenswerten Investments. Oft genug wird Geld in zumindest zweifelhafte Businessmodelle – wie den kostenlosen Versand von Schuhen - oder in abenteuerliche Finanzprodukte gesteckt. Warum also nicht in wirklich lohnende neue Ideen von Netzwerken?
Die in den letzten zwei Jahrzenten wie ein Mantra gepriesene und durchgeführte Fokussierung auf die Unternehmens-Kernkompetenzen sowie die daraus folgende Modularisierung fast aller Prozesse bedeutet, dass es heute relativ einfach für neue Herausforderer geworden ist, sich am Markt zu etablieren. Sehr schnell lässt sich aus einer Idee durch das Einbinden von Spezialisten (z. B. Fertigung, Logistik) ein komplettes Unternehmen „designen“, das dann die Platzhirsche attackieren kann. Beispiel Softdrinks: Durch die Fokussierung auf Einkauf und Marketing wurden die Abfüller in die Eigenständigkeit entlassen. Dies wiederum bereitete den Boden für neue Anbieter von Energiedrinks, denn diesen standen plötzlich die jetzt eigenständigen Abfüller zur Verfügung. Derzeitige Bestrebungen der Großen, die Schrauben wieder zurückzudrehen und die Abfüller wieder ins Unternehmen zu integrieren, werden die langfristige Entwicklung höchstens kurzfristig abbremsen.
Ich bin überzeugt, auch dieser Trend fördert die Kooperationsfähigkeit und den offenen Umgang mit Ideen.

Neue Zuckerbergs in Sicht?
Ich glaube, wir werden schon bald die ersten Erfolgsstorys solcher als Netzwerke gestarteten Start-ups sehen. Die neuen Zuckerbergs, die durch ihren offenen Umgang mit Ideen unsere Megaprobleme lösen werden. Hierin liegt aus meiner Sicht die größte Chance für unsere Gesellschaft. Durch einen revolutionären Paradigmenwechsel im Bezug auf den Umgang mit neue Ideen Innovationen hervorzubringen, die es ohne die offene Zusammenarbeit nicht geben wird. Die junge Generation wird erkennen, dass die Information zu einer Idee isoliert keinen Wert besitzt. Der Wert entsteht erst im Kontext, in dem dieser Gedanke entstanden ist und dessen Erdenker, der diesen Kontext herzustellen in der Lage ist. Erst mit seiner Kreativität und Flamme der Inspiration wird aus der Idee eine Innovation, die ihren wertvollen Beitrag leisten kann. Sobald dies akzeptiert ist, steht dem Umdenken nichts mehr im Wege. Dann kann die Wachstumsbremse gelöst werden, die uns derzeit gefangen hält und eine neue Ära der Wirtschaftsstruktur bis hin zur kulturellen Entwicklung unserer Gesellschaft würde eingeläutet.
Wäre dies nicht eine sehr reizvolle Wende im Thema Spionage?

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